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Cartographica Helvetica


Zusammenfassung

Thema: Missionskartographie

Cartographica Helvetica 58 (2019)

Zusammenfassung:

Missionsgesellschaften sind als eine Reaktion engagierter Christen des Abendlandes auf Berichte über die Existenz nicht abendländischer, nichtchristlicher Kulturen entstanden. Aufgrund des Missionsbefehls Jesu (Matthäus 28, 18–20) setzte sich diese Bewegung für die Ausbildung und Aussendung von Missionaren ein. Mit ihnen sollte die Verbreitung des Christentums in Afrika, Asien und Lateinamerika gefördert werden. Die Basler Mission wurde 1815 ursprünglich mit der Absicht gegründet, in einem Seminar Missionare auszubilden, welche dann in Übersee für andere Organisationen arbeiten sollten. Die kartographische Erarbeitung von geographischem Wissen war massgebend für Missionsziele, -aktivitäten und -reisetätigkeit, insbesondere als sich die Missionare in das Hinterland der Missionsfelder begaben. Erstellung, Verbreitung und Verwendung von Karten verdeutlichen, dass das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts und das erste Viertel des 20. Jahrhunderts als Blütezeit der Missionskartographie abgegrenzt werden kann.

In etlichen Volksgruppen und Glaubenssystemen dienen Landkarten nicht alleine der Orientierung in einem klar definierten physischen Raum. Dies gilt auch für das zu den Dayak zählende Volk der Ngaju in Kalimantan, dem indonesischen Teil der Insel Borneo. Ihre Darstellung der «oberen Welt» und der «unteren Welt» ist von kosmographischen Zusammenhängen und moralischen Leitsätzen geprägt. Das ausgewählte Beispiel von ca. 1930 beinhaltet eine vielfältige Symbolik, welche unter dem Gesichtspunkt von Vorstellungen bei den Ngaju zum Menschsein in körperlicher und seelischer Form skizziert und erläutert wird.

Im Historischen Museum Luzern befindet sich eine geheimnisvolle, jesuitische Kartendarstellung von 1619. Die in Kupfer gestochene, kolorierte seitenverkehrte Weltkarte von Johann Baptist Cysat ist auf Leinwand montiert und auf einer hölzernen Drehscheibe befestigt, deren zwei Knöpfe heute fehlen. Sie ist aus sechs Blättern kreisförmig ausgeschnitten und zusammengesetzt. Ihr Durchmesser beträgt 100 cm. Um sie herum läuft ein Stundenring, der zwei Zählungen von I bis XII im Gegenuhrzeigersinn zeigt. Sie ist in einen quadratischen Holzschrein mit einer Seitenlänge von 130 cm eingefügt. Die Karte wird in polständiger stereographischer Azimutalprojektion dargestellt. Projektionszentrum ist der Nordpol. Die Karte wird von dort auf die Tangentialebene, die den Südpol berührt, projiziert. Der Mittelpunkt der Karte ist der Südpol; der fiktive Standort des Betrachters liegt im Innern der Erdkugel. Der Zweck der Karte war nicht, die geographische Länge und Breite der Orte zu zeigen, sondern man sollte aus ihr herauslesen können, welche Uhrzeit bei den einzelnen Völkern gelte und wo die Gesellschaft Jesu überall vertreten sei. Am Rande der Karte sind die Namen der Märtyrer der Jesuiten angeschrieben, versehen mit einem Buchstaben, der auf der Karte den Ort bezeichnet, wo die Missionare gestorben sind.

Die geographische Erschliessung der Welt im 19. Jahrhundert wird vor allem mit den Namen grosser Forschungsreisender, wie Alexander von Humboldt, Heinrich Barth oder Gerhard Rohlfs in Verbindung gebracht, die ihre geographischen Erkenntnisse und Entdeckungen in den verschiedensten Verlagen publizierten. Wenig bekannt ist jedoch, dass die breite Produktpalette der geographischen Verlagsanstalt Justus Perthes neben Einzelkarten, den Atlanten von Stieler und Berghaus sowie bedeutenden Fachzeitschriften auch kartographische Arbeiten aus dem Missionsumfeld umfasste. Neben Reinhold Grundemanns Allgemeinem Missionsatlas, der wohl das umfangreichste Werk dieser Art darstellt, waren dies vor allem Berichte und Karten in den Mittheilungen aus Justus Perthes' Geographischer Anstalt. Die Missionskartographie leistete somit einen nicht unbedeutenden Beitrag für die letzten grossen geographischen Entdeckungen der Welt. Als sich mit dem 19. Jahrhundert nicht nur das Zeitalter der Entdeckungen, sondern auch das «Jahrhundert der Missionen» dem Ende neigte, verlor die Missionskartographie mehr und mehr an Bedeutung. Sie verschwand mit der Zeit auch aus dem Blickwinkel der wissenschaftlichen Forschung.

Bei der Edition spezieller Atlanten ihrer Arbeitsfelder gingen seit den 1830er Jahren international und auch im deutschsprachigen Raum zunächst die protestantischen Missionsgesellschaften voran. Die katholisch geprägte Kartographie zog hier erst im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts nach. Die Anfänge sind verbunden mit der von Jesuiten herausgegebenen Zeitschrift Die katholischen Missionen. Für die Jahrgänge 1881 und 1882 entwarf der aus St. Gallen stammende Alexander Baumgartner SJ vier Karten der Missionen Ostasiens. Er war selbst zwar ein begabter Topograph, aber vor allem literaturwissenschaftlich interessiert. Die Weiterführung als grösseres Projekt übergab er an Oscar Werner SJ. Er publizierte 1884 bis 1886 den ersten katholischen Missionsatlas in mehreren deutschen und französischen Ausgaben. Die Nicht-Missionsländer der Weltkirche fasste Werner 1888 in einem ergänzenden Katholischen Kirchen-Atlas zusammen.

Die 1875 von Arnold Janssen gegründete «Gesellschaft des Göttlichen Wortes» (Societas Verbi Divini, SVD), in Kurzform «Steyler Missionare» genannt, ist die älteste und grösste deutsche katholische Missionsgesellschaft. Wissenschaftlich haben Mitglieder des Ordens vor allem in der aussereuropäischen Ethnologie und Sprachenkunde Bedeutung. Die führende Rolle, die Steyler Patres über ein Jahrhundert lang in der kirchlich-katholischen Kartographie gespielt haben, wurde bisher wenig beachtet. Erster Meilenstein war eine Wandkarte der Afrika-Mission (1903) von Hubert Hansen SVD. Zentrale Gestalt wurde Karl Streit SVD. Sein Katholischer Missionsatlas erschien 1906 in deutsch- und französischsprachiger Ausgabe. Halboffiziellen Charakter als Atlas der Weltkirche erlangte Streits Atlas hierarchicus. Nach dem Exil in der Schweiz während des 2. Weltkrieges blühte die Steyler Kartographie der SVD mit etlichen Atlasausgaben unter Heinrich Emmerich neu auf. Er galt als «Kartograph des Vatikans» schlechthin. Die 6. Auflage des Atlas hierarchicus von 2011 rundet eine 100jährige Tradition ab.


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