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Cartographica Helvetica


Zusammenfassung

Thema: Die Schöpfkarte des bernischen Staatsgebiets von 1578

Cartographica Helvetica 60 (2020)

Zusammenfassung:

Alte Landkarten sind Gemeinschaftswerke und reflektieren den Wissenstand ihrer Zeit. Bild und Wort machen sie zu multimedialen Erzeugnissen. Und sie hinterlassen ihre eigenen Wirkungsgeschichten. Unter diesen Aspekten wird Berns erste grosse Landkarte im vorliegenden Heft betrachtet. Der 500. Geburtstag des Stadtarztes von Bern, Thomas Schöpf (1520–1577) ist der Anlass, auf sein bewegtes Leben einzugehen. Zudem wird die ihm zugeschriebene Karte mit dem umständlichen Titel Inclitæ Bernatvm vrbis, cvm omni ditionis svæ agro et provinciis delineatio chorographica («Chorographischer Abriss der berühmten Stadt Bern samt allem unter ihrer Herrschaft stehenden Gebiet und ihren Amtsbezirken») kritisch untersucht.

Parallel zur Schöpfkarte existiert ein ausführlicher Text, der in mehreren Abschriften überliefert ist. Ensembles von separatem Text und kartographischer Darstellung sind für die Geschichte der Kartographie von besonderem Interesse, stellen jedoch in der frühen Neuzeit keine Ausnahme dar. Der in Latein verfasste Text, im Themenheft als «Chorographie» benannt, ist bis heute nie ediert worden.

Das Themenheft berichtet über bedeutende Funde in Archiven und Bibliotheken: Zunächst einmal ist die Liste der bisher bekannten Exemplare der Schöpfkarte gewachsen. Überdies haben die neu gewonnenen historischen und kartographischen Erkenntnisse zu genaueren Unterscheidungen zwischen den beiden Drucken der Karte (1578 und 1672) geführt. Bisher waren weniger als eine Handvoll Abschriften der Chorographie bekannt, nun sind es deren acht, und dazu gesellen sich mehr als 15 bisher unerforschte Kurzfassungen. Als neuer Fakt wurde erkannt, dass die Abschriften hochgeheime Informationsträger darstellten und deren Erschliessung mitten ins Machtzentrum des Alten Bern weist.

Die erstmals vertieft recherchierte Biographie Schöpfs zeigt, dass sowohl Karte als auch Chorographie hauptsächlich von Leuten aus dessen Umfeld stammten. Das liest sich mitunter wie ein Krimi, führt aber zu einem differenzierten Bild der Kartengenese. Zudem wird dem komplexen Verhältnis von Karte und Chorographie auf den Grund gegangen: Einerseits zeigt die sprachliche Analyse, wie Landesbeschreibung verbal funktioniert; andererseits belegen kartographische Untersuchungen anhand der Siedlungstypen, Einzelgebäuden, Brücken und Gewässer, wie eng Karte und Text bei der Entstehung verbunden waren. Eine Genauigkeitsanalyse belegt die hohe Qualität der Karte, die ohne wesentliches Vorbild und Triangulation auskommen musste.

Eine Reihe von Berner- und Schweizerkarten aus dem 16. bis zum 18. Jahrhundert weisen Spuren der Schöpfkarte auf. Zudem sind Karte und Chorographie heute noch relevant für die bernische Ortsnamenforschung, denn sie belegen eine Fülle an Ortsnamen für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Chorographie kann in Ansätzen als namenkundliches Werk bezeichnet werden. Eine digitale Edition, die Karte und Chorographie verbinden und kommentieren könnte, bleibt vorerst ein Desiderat.


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