Cartographica Helvetica
Zusammenfassung
Markus Oehrli
Mitarbeit: Martin Rickenbacher
Deutsche Kriegskarten der Schweiz 1939–1945:
ein Vademecum
Das Kartierungsprogramm des deutschen Heeres umfasste während des Zweiten Weltkriegs nicht nur die eigentlichen Kriegsschauplätze, sondern auch neutrale oder unbeteiligte Staaten. In dieser Studie werden die deutschen Kriegskarten der Schweiz aus den Jahren 1939 bis 1945 erstmals umfassend dokumentiert und in den allgemeinen Kontext des Kriegs eingebettet.
Einleitend werden die damaligen eidgenössischen Kartenwerke kurz vorgestellt. Die «Siegfriedkarte» in den Massstäben 1:25 000 und 1:50 000 sowie die «Dufourkarte» im Massstab 1:100 000 bildeten nämlich die Vorlagen, nach denen die deutschen Kriegskarten der Schweiz hergestellt wurden. Auf deutscher Seite war eine Abteilung des Generalstabs für das Karten- und Vermessungswesen des Heeres verantwortlich. Ihr unterstellt war die Heeresplankammer als Ausführungsorgan. In deren Auftrag waren etwa hundert Druckereien der Privatwirtschaft für den Druck der Karten zuständig.
Die formale Gestaltung der deutschen Kriegskarten 1:25 000 wird im zweiten Teil detailliert beschrieben. Anfänglich kamen die deutschen Kartenwerke unter der verschleiernden Bezeichnung «Sonderausgabe» heraus. Für die Sonderausgabe der Schweiz wurden jeweils vier Kartenblätter der «Siegfriedkarte» 1:25 000 zu einem Kartenblatt zusammengefügt und mit einer Legende versehen. Später wurde die Gestaltung weiter vereinheitlicht. Die neuen Auflagen wurden ab 1942 unter dem Gattungsbegriff Deutsche Heereskarte geführt.
Schiesskarte für die Artillerie (Library of Congress)
Die chronologische Entwicklung steht im Zentrum des dritten und umfangreichsten Teils dieser Studie. In Bezug auf die Schweiz sind fünf Phasen zu unterscheiden. Noch vor dem Kriegsbeginn wurden eine Übersichtskarte 1:300 000 und das Kartenwerk 1:100 000 (21 Blätter) hergestellt. In das Jahr 1940 fiel eine intensive Phase der Kartenproduktion als Folge der Angriffsplanungen gegen die Schweiz, die unter dem Codenamen «Tannenbaum» bekannt wurden. Darin forderten die Planer: Herstellung eines Kartenwerks 1:25 000 (171 Blätter), Herstellung einer Strassenzustandskarte, Vermessungen von Festpunkten entlang der französisch-schweizerischen Staatsgrenze. Ausserdem wurde eine Befestigungskarte 1:100 000 (19 Blätter) hergestellt. Nach einer ruhigeren Phase in der Mitte des Kriegs entfaltete sich gegen Kriegsende wieder eine starke schweizbezogene Aktivität. Dank Akten der Heeresvermessungsstelle Wien kann die Aneignung des vermessungstechnischen Wissens über die Schweiz in den Jahren 1943 und 1944 exakt nachvollzogen werden. Das bestehende Kartenwerk 1:25 000 wurde gleichzeitig entlang der deutsch-schweizerischen Grenze mit Hilfe von Luftbildern nachgeführt und auf das ganze Staatsgebiet der Schweiz ausgedehnt (254 Blätter). Dieser Sollbestand wurde kartografisch fertig bearbeitet, umständehalber konnten nur 185 Blätter gedruckt werden. Nach der Kapitulation der Wehrmacht gelangten die deutschen Kriegskarten in alliierte Archive. 1951/52 wurden sie als Grundlagen für ein alliiertes Kartenwerk der Schweiz verwendet.
Karte für die Luftwaffe (Library of Congress)
Im vierten, technischen Teil werden Erkenntnisse zu innovativen reproduktions- und drucktechnischen Details präsentiert. In der Kartentechnik vollzog sich dank der 1936 neu entwickelten Astralonfolien ein durchgreifender Wandel. Standardisierte Druckfarben und Papierformate waren weitere Faktoren, um die Kartenproduktion zu beschleunigen.
Der fünfte Teil ist einigen karten- und vermessungspolitischen Aspekten gewidmet. Das deutsche Heer plante eine gross angelegte Vereinheitlichung von Projektionen, Nullmeridianen, Kartengittern, Massstabsfolgen, Blattschnitten und Legenden. Ideengeber waren unter anderem die Internationale Weltkarte 1:1 Mio. und erbeutete sowjetische Karten. Die Kriegskarten der Schweiz konnten in der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs allerdings nur teilweise auf die neuen Normen umgestellt werden.
Eine kurze Würdigung ordnet die Befunde in die Geschichte der Kartografie ein. Hervorzuheben ist die Aktualität und Vollständigkeit der deutschen Kriegskarten der Schweiz. Mit dem landesweit vereinheitlichten Massstab 1:25 000 schuf sich das Deutsche Reich ein Bild der Schweiz, wie es bis dahin nicht bestanden hatte. Weitere Forschungen sind jedoch nötig, um zu einem umfassenden Verständnis der weltweiten deutschen Karten- und Vermessungsaktivitäten während des Zweiten Weltkriegs zu gelangen. Die ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnisse mögen dazu anregen.
Kartendruck der Firma Brockhaus (Library of Congress)
Mehrere Anhänge präsentieren weiteres Material zu den Kriegskarten der Schweiz. Zunächst wird die Biografie des Chefs des deutschen Kriegskarten- und Vermessungswesens, Generalleutnant Gerlach Hemmerich (1879–1969), kritisch durchleuchtet. Ein bisher unbearbeitetes Thema sind die Druckereien, die auf den Kriegskarten nur in getarnter Form auftauchen; die wichtigsten der beteiligten Betriebe werden enttarnt (Aktualisierungen hier). In weiteren Anhängen werden die deutschen Kriegskarten der Schweiz mit Blattübersichten und detaillierten Kartobibliografien dokumentiert. Eine Zeittafel, ein Glossar, eine Liste der Abkürzungen und ein Namenregister vervollständigen diese Studie.
Preis: CHF 48.– (zur Bestelladresse).
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